Wassersensible Stadtentwicklung im

Bestand

In Deutschland leben drei von vier Menschen in bestehenden Städten. Die Städte jedoch stehen aktuell vor einem großen Veränderungsdruck: Energiewende, Verkehrswende, Klimaanpassung, Innenentwicklung, Wohnraum schaffen und sozialer Ungleichheit begegnen. Die Veränderungsprozesse sind gerade in Bestandsquartieren eine große Herausforderung. Für blau-grüne Infrastrukturen bieten sich dadurch aber auch Gelegenheitsfenster und multifunktionale Flächennutzung kann ein Lösungsweg sein, um Flächenkonkurrenzen zu begegnen.

Potenziale blau-grüner Infrastrukturen im Bestand

Kommunen sind angehalten, die Flächeninsanspruchnahme zu verringern, Bestandsquartiere soweit möglich zu verdichten und dabei Klimaschutz, Klimaanpassung und die Wahrung gesunder Wohn- und Lebensverhältnisse zu sichern. Blau-grüne Infrastrukturen bieten dabei vielfache Möglichkeiten. Denn die verschiedenen Einzelmaßnahmen der blau-grünen Stadtentwicklung, mit ihren unterschiedlichen Eigenschaften, räumlichen Voraussetzungen und dem vielfach multifunktionalen Charakter, können flexibel eingesetzt werden.

Vorsorge vor Überflutungen und Wassermangel im Bestand

Verbesserung des Mikroklimas, Verringerung von Hitzeinseln

Synergien mit Klimaanpassung, Klimaschutz, Aufenthaltsqualität nutzen

Vorsorge vor Überflutungen durch Starkregen und vor Wassermangelsituationen im Bestand kann z.B. über multifunktionale Nutzung von Straßenräumen als Notwasserwege oder die (unterirdische) Speicherung von Regenwasser zur späteren Nutzung auch flächensparend umgesetzt werden. Kombinierte blau-grüne Infrastrukturen wie Baumrigolen und Versickerungsbeete speichern das Regenwasser, welches die Kanalisation entlastet und den Pflanzen dadurch länger zur Verfügung steht. Viele bestehende Flächen im öffentlichen Raum können außerdem auch nachträglich entsiegelt werden (z.B. Parkplätze, Gehwege, Schulhöfe), wodurch ein Teil des anfallenden Regenwassers versickern kann.

Überflutungsvorsorge bedeutet aber auch die Potentiale entlang der Gewässer zu nutzen: den urbanen Gewässern mehr Raum zu geben und Überflutungsbereiche schaffen, ist aufgrund von Flächenkonkurrenzen im Bestand besonders herausfordernd.

Insbesondere Dach- und Fassadenbegrünung sind auch im hoch verdichteten Bestand gut umsetzbar. Die Maßnahmen zeigen große, bisher nicht ausreichend genutzte Potentiale in Bestandquartieren: die Begrünung von Dächern und Fassden benötigt im Vergleich mit anderen klimawirksamen Vegetationsformen wenig bis kein Bodenraum, entzieht sich somit der Flächenkonkurrenz und lässt sich in der Regel über die lokal gespeicherten Niederschläge bewässern. Vorteile für den Regenrückhalt, die Verdunstungskühlung und die Verschattung von Gebäudeteilen liegen auf der Hand.

Bei kombinierten blau-grünen Anlagen wie Retentionsdächern, Versickerungsbeeten und Baumrigolen wirken die positiven Eigenschaften der Wasserspeicherung (bzw. -rückhalt) und der Begrünung zusammen, die Umsetzung im Bestand stellt sich aber aufgrund der höheren Anforderungen an Fläche, Statik, Bodenraum und -beschaffenheit schwieriger dar.

Im Sinne der doppelten Innenentwicklung stellen Frei- und Grünflächen einen wichtiges Element dar: gesunde Wohn- und Lebensverhältnisse werden gestärkt und Begegnungsorte geschaffen.

Synergien mit dem Klimaschutz bestehen vor allem mit der Sanierung der Gebäudesubstanz und der Umsetzung von Dach- und Fassadenbegrünung (u.a. in Kombination mit PV-Anlagen). Hierbei können auch Potentiale für die Vernetzung von urbanem Grün und für die Langlebigkeit der Baumaterialien genutzt werden.

 

Herausforderungen und Lösungsmöglichkeiten für blau-grüne Infrastrukturen im Bestand

Im Bestand ergeben sich zahlreiche Herausforderungen aus den gewachsenen Strukturen, diversen Eigentumsverhältnissen und geringen Flächenverfügbarkeiten sowohl ober- wie auch unterirdisch.

Die Umsetzung von weitreichenden Maßnahmen der blau-grünen Infrastruktur scheitert häufig an den begrenzten Einflussmöglichkeiten der kommunalen Verwaltung: Die Umsetzung von Maßnahmen im Bestand ist maßgeblich vom Mitwirkungswillen der EigentümerInnen der Flächen und Gebäude abhängig. Selbst wenn die Kommune blau-grüne Gestaltungselemente planerisch verbindlich regelt, z.B. über Satzungen, genießen viele Elemente Bestandsschutz.

Blau-grüne Infrastruktur im Bestand kann also nur unter Einbindung von privaten EigentümerInnen und AnwohnerInnen sinnvoll umgesetzt werden. Durch umfangreiche Informations- und Gesprächsangebote, Bürgerbeteiligung in der Planungsphase sowie kommunale Förderangebote, die sich gezielt an EigentümerInnen richten, kann die Umsetzungsbereitschaft erheblich erhöht werden.

In gewachsenen Städten sind in der Regel alle Flächen mit einer Funktion belegt. Das Prinzip der Innenentwickung fordert eine weitere Verdichtung im Innenraum. Gleichzeitig benötigen blau-grüne Infrastrukturen aber Flächen an der Oberfläche wie im Untergrund. Diese begrenzte Flächenverfügbarkeit führt zu einer Konkurrenz um die urbanen Flächen, welche gleichzeitig die Preisen für Grund und Boden sowie für Wohn- und Gewerberaum in den Städten steigen lässt. Dies wiederum wirkt sich auf die Realisierbarkeit von ökologischen und naturnahen blau-grünen Infrastrukturen negativ aus.

Eine Lösung für hohe Flächenkonkurrenzen kann die Multicodierung (oder auch: Multifunktionale Nutzung) von Flächen sein. Hier werden auf einer Fläche mehrere miteinander verträgliche Nutzungen überlagert. So können Verkehrs- und Parkflächen, Kinderspielplätze, städtische Grün- und Infrastrukturflächen oder Flächen für den Natur- und Landschaftsschutz gleichzeitig für die Sammlung und Speicherung, gezielte Ableitung sowie Versickerung von Wasser genutzt werden.

 Außerdem können strategisch wichtige Flächen mit einer vorsorgenden Bodenpolitik frühzeitig gesichert werden. Damit kann die Kommune die zukünftige Nutzung über zahlreiche Steuerungsinstrument (mit)bestimmen.

Zahlreiche Lösungen für blau-grüne Infrastrukturen sind vielerorts noch neu und wenig bekannt. Dies führt bei Verantwortlichen zu Unsicherheit über die Anwendung oder Auslegung von einschlägig erprobten Regelwerken. Auch Fragen bezüglich Haftung und Unterhaltungskosten werden immer wieder angeführt.

Zahlreiche Regelwerke werden dahingehend überarbeitet, so dass sie die Bedenken und Fragen hinsichtlich blau-grüner Infrastruktur in Zukunft fachlich eindeutig beantworten. Aufklärung, detaillierte Darstellungen von good-practice Beispielen und zielgerichtete Fortbildungen können den Unsicherheiten und Bedenken weiter entgegenwirken.

Für Investoren oder EigentümerInnen sind die Investiotionskosten in blau-grün Infrastrukturen in der Regel höher als für herkömmliche Lösungen. Wenn allerdings langfristige Kosten oder der Nutzen für die Allgemeinheit berücksichtigt werden, schwindet der Unterschied.

Lösungen für eine integrierte Kosten-Nutzen Betrachtung fehlen aktuell. Mit Förderungen für naturnahe blau-grüne Infrastruktur kann allerdings ein Teil der Mehrkosten aufgefangen werden.

Konflikte mit historischer Bausubstanz und Denkmalschutz bestehen vielerorts. Lösungen müssen im Einzelfall gefunden werden.

Handlungsoptionen zur Umsetzung blau-grüner Infrastrukturen im Bestand

Weitere Informationen zu Anpassungsmöglichkeiten im Bestand finden Sie auch hier:

Beispiel: Berliner Regenwasseragentur

Die Berliner Regenwasseragentur beschäftigt sich mit der Bewirtschaftung von Regenwasser und dient als Informationsbörse, Berater, Vernetzer und Dialogplattform für Verwaltungen, Wohnungsunternehmen, ImmobilieneigentümerInnen, PlanerInnen und BürgerInnen in Berlin.

Dienstleistungen im Rahmen der Regenwasserbewirtschaftung sind die Information über Maßnahmen, eine Hilfe bei Planung und Umsetzung sowie die Organisation von Weiterbildung, Fach- und Erfahrungsaustausch.

 

Neben konkreten Dienstleistungen lassen sich auf der Webseite auch viele hilfreiche Informationen in Form von Praxisbeispielen und Praktischen Hilfen finden, die sich nicht nur auf Berlin anwenden lassen. Zur Webseite gelangen Sie hier.

Die Berliner Regenwasseragentur geht als gutes Beispiel voran, was eine örtliche Beratung und Begleitung bei dezentraler Regenwasserbewirtschaftung angeht. Auch für andere Städte und Länder wird eine Schaffung solcher Stellen gefordert, um Maßnahmen zügig und effizient umsetzen zu können.

Relevante Projekte

MURIEL – Multifunktionale Retentionsflächen

Das Projekt MURIEL hat Handlungsempfehlungen zur Planung und Gestaltung multifunktionaler Flächen erarbeitet. Die umfangreiche Projektdokumentation gibt Hinweise zur Konzeption, Gestaltung sowie zur Finanzierung und zum dauerhaften Betrieb multifunktionaler Flächen. Für die Stadtentwässerungsbetriebe Köln wurde auf dieser Grundlage eine Arbeitshilfe erstellt.

Leipzig BlauGrün

Das Projekt „Leipziger BlauGrün“ befasst sich neben der Planung und Forschung im Neubauquartier auch mit der Anpassung in Bestandsgebieten. Im Fokus steht hierbei die Entlastung des zentralen Abwassersystems, die Verbesserung der Energieeffizienz und des Mikroklimas, sowie ein resilientes Starkregenmanagement.

INTERESS-I – Integrierte Strategien zur Stärkung urbaner blau-grüner Infrastrukturen

Im interdisziplinären Projekt INTERESS-I geht es um die Integration blau-grüner Infrastrukturen in Städten. Als Praxisbeispiele werden hierfür Frankfurt am Main und Stuttgart betrachtet, um Erfolgsbedingungen und Herausforderungen zu identifizieren.

Wassersensible Stadtentwicklung in

Kommunalen Prozessen